Ein Tag in Nürnberg erleben

Paul Giessner - Autor Nuernberg
Paul Giessner

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Ein Tag in Nürnberg - vom Handwerkerhof zur Kaiserburg

Gegenüber dem Nürnberger Hauptbahnhof am Königstor liegt der Handwerkerhof. Durch seine Pforten, über denen das Reichswappen prangt, gelangten die Reisenden aus dem Osten in die Stadt. Im Innenhof präsentiert sich eine bunte Mischung an Handwerkskünsten. Man kann den Handwerkern bei der Arbeit über die Schulter schauen und diverse Souvenirs wie Blechspielzeug und Lederbörsen, aber natürlich auch die guten Nürnberger Lebkuchen erwerben. Erwähnenswert ist insbesondere das kleine Restaurant „Bratwurstglöcklein”, weil es den Namen der einst berühmtesten und ältesten Bratwurstküche Nürnbergs trägt. Seine lange Tradition reicht bis ins 14. Jahrhundert zurück. Händler und Reisende aus aller Welt speisten dort, aber auch Bürger, Handwerker, Künstler und Gelehrte aus der freien Reichsstadt wie Adam Kraft, Albrecht Dürer oder Hans Sachs.

Von dort aus führt uns der Spaziergang in Richtung Innenstadt vorbei an der Kirche St. Martha, die rechts an der Straße etwas versteckt hinter den anderen Gebäuden liegt. Ihre Glasfenster gehören zu den ältesten und ikonografisch wertvollsten überhaupt, deswegen ist sie allemal einen kleinen Abstecher wert. Gegenüber liegt die ehemals große Klosteranlage St. Klara, von der nur das kleine Kirchlein geblieben ist. In ihr wurden seit 1424 die Reichskleinodien verwahrt. Der Rat der Stadt hätte das Kloster nach der Reformation, infolge deren Nürnberg zum protestantischen Glauben übergewechselt war, am liebsten gleich ganz aufgehoben, doch einflussreiche Bürger wie Caritas Prickheimer, die Schwester des Humanisten Willibald Pirckheimer, setzten sich für seine Erhaltung ein. So trotzte der katholische Klarissenorden dem Rat noch eine ganze Weile, bevor er schließlich ausstarb, weil er keine neuen Novizinnen mehr aufnehmen durfte.

Links am Weg liegt die alte Mauthalle, früher auch “die große Waage“ genannt, weil darin das reichsstädtische Waagamt untergebracht war. Das innere Frauentor war 1498 abgetragen worden und weil die Nürnberger nun einmal sehr praktisch veranlagt sind, schütteten sie den Stadtgraben nicht einfach zu, sondern setzten einen großen Speicher darauf, den größten von insgesamt zehn Kornspeichern der Stadt. Im reich verzierten mittelalterlichen Keller des traditionsreichen Gebäudes kann man es sich im Brauhaus Barfüßer bei fränkischen Spezialitäten gemütlich machen.

Unweit davon in der Pfannenschmiedsgasse 24 befindet sich auch das Zeughaus, ein kleiner erhalten gebliebener Teil eines einst riesigen Gebäudekomplexes, der das Waffenarsenal der Reichsstadt beherbergte. Immerhin war Nürnberg im Mittelalter das europäische Zentrum der Rüstungsproduktion schlechthin. Die Waffenindustrie florierte: Bis zu 100.000 Klingen in der Woche konnten die 122 hier ansässigen Klingenschmiede-Meister Mitte des 16. Jh. herstellen.

Die Lorenzkirche, die übrigens zu den schönsten gotischen Sakralbauten Deutschlands gehört, ist neben St. Sebald die berühmteste Kirche der Stadt. Wegen der Gebäude entbrannte zwischen den beiden Stadtteilen, die sich auch sonst nicht ganz grün waren, regelrecht ein Wettstreit. Die Beschreibung ihres reichhaltigen Innenlebens füllt zahlreiche dicke Wälzer, deswegen seien hier nur die beiden Kunstwerke erwähnt, die man auf jeden Fall gesehen haben sollte, nämlich der Englische Gruß von Veit Stoß und das Sakramentshaus von Adam Kraft, der sich dort auch selbst verewigt hat. Unter „pädagogisch wertvoll“ fiel wohl im Mittelalter die Geschichte vom “Schusserbub“, die am Brünnlein links neben dem großen Eingangstor dargestellt ist: Der Nürnberger Bub mogelte immer beim Schussern und er log und fluchte laut: “Der Teufel soll mich holen!“ Eines Tages kam der dann auch wirklich - der Bub schrie laut, ließ vor lauter Schreck Tafel und Buch fallen, aber es half nichts - der Teufel nahm in mit in die Hölle.

Vorbei am Tugendbrunnen und am Nassauer Haus, dem letzten noch existierenden mittelalterlichen Wohnturm, geht es nun weiter in Richtung Museumsbrücke. Richten Sie es so ein, dass Sie genau um 12:00 Uhr Mittag vor der Frauenkirche stehen, denn dann beginnt dort das Männleinlaufen: Die Musiker spielen auf und die Kurfürsten huldigen Kaiser Karl IV. Das Männleinlaufen ist ein Symbol des Kaisertums und erinnert an die Verkündigung der Goldenen Bulle 1356 in Nürnberg. Uhr- und Maschinenwerk wurden 1509 gefertigt. Von dort sind es nur wenige Schritte zum Bratwurst Röslein, einem sehr traditionsreichen und gemütlichen Restaurant mit fränkischen Spezialitäten, wo auch Alfons Schuhbeck und Angela Merkel essen gehen, wenn sie mal in Nürnberg sind.   

Der Schöne Brunnen hat die Form einer gotischen Kirchturmspitze und ist reich verziert mit zahlreichen Figuren, unter anderem einen Storch, der über dem berühmten Ringlein sitzt und die Fruchtbarkeit symbolisiert. Ihn zu drehen verheißt also Kindersegen und nicht etwa die Erfüllung irgendwelcher Wünsche, wie häufig in Reiseführern zu lesen steht. Der echte Wunschring ist übrigens nicht der goldene, sondern der schwarze auf der gegenüberliegenden Seite.

Das Rathaus besteht aus mehreren Gebäudeteilen, die aus unterschiedlichen Zeiten stammen: Die Gebäudefront von der Sebalduskirche aus gesehen ist der Wolff’sche Bau, benannt nach dem Architekten Jakob Wolff d. J. Das so genannte alte Rathaus ist in Form eines italienischen Palazzo erbaut. In der Eingangshalle kann man die Reichskleinodien bestaunen - natürlich nur in Kopie. Im Mittelalter durften die Nürnberger die Originale einmal im Jahr auf dem Hauptmarkt bestaunen. Besonders beeindruckend ist auch der gotische Saal des Vorgängerbaus aus dem 14. Jh., der damals größte profane Saalbau nördlich der Alpen. Dort tagten die Mächtigen des Reiches, die gekrönten Häupter wurden darin willkommen geheißen und auch die berühmte Nürnberger Friedenstafel nach dem 30jährigen Krieg wurde dort 1649 abgehalten. 600 verschiedene Speisen wurden damals gereicht um die Mägen der anwesenden Kriegsherren zu besänftigen

Die Lochgefängnisse im Keller des Rathauses bestehen seit dem 14. Jh. und haben sich bis heute kaum verändert. Der Wächter wohnte in der so genannten Lochwirtswohnung unweit von den Zellen. Tür- und Deckenhöhe lassen unschwer erahnen, wie klein die Franken waren. Albrecht Dürer war mit 1,70 sehr groß gewachsen - etwa zehn Zentimeter größer als der Durchschnitt. Die unterirdischen Gemäuer sind vollständig erhalten und zwar mitsamt der kompletten Ausstattung aus den Zeiten der Inquisition, welche die Insassen komplett zurückließen. Eine Schmiedewerkstatt ganz in der Nähe der Gefängnisse war für die Reparatur der Geräte aber auch für die Entwicklung neuer Folter-Technologien zuständig. Bis ins 18. Jh. hinein waren die Räumlichkeiten in Gebrauch, danach kamen sie nur noch einmal zum Einsatz - bei der Verwahrung politischer Gegner im NS-Regime. 


Das einzige bedeutende Patrizierhaus, das den Krieg ohne Schaden überstanden hat, ist das Fembohaus an der Burgstraße, das heute das Stadtmuseum Nürnberg beherbergt. In Nürnberg gilt übrigens die so genannte Tageskarten-Regelung. Das bedeutet, Sie bezahlen nur in einem der Städtischen Museen Eintritt und können anschließend mit der Karte alle anderen Museen am gleichen Tag kostenlos besuchen. Auf keinen Fall sollte man sich im Fembohaus die Führung in fränkischer Sprache per Audiogerät entgehen lassen: Mundartdichter Günter Stössel mimt einen wissensdurstigen Besucher, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt und vom Museumsleiter Rudolf Käs persönlich humorig durchs Haus geführt wird. Wenn man das Haus wieder verlässt, sollte man noch einmal einen kurzen Blick hinunter auf den Hauptmarkt werfen - die gepflasterte Straße hinab und dann in elegantem Schwung die Fleischbrücke wieder bergauf: Das war der Weg, den der feierliche Abschluss der Via triumphalis nahm, den die Kaiser beim Einzug in die Stadt absolvierten. Und wenn Sie sich dann noch vorstellen, dass 1945 kein einziges der alten Häuser rund um den Hauptmarkt stehen geblieben war, können Sie annähernd ermessen, welche gigantische Wiederaufbauleistung die Nürnberger nach dem Krieg auf sich genommen haben. Die Stadt war so stark zerstört, dass ihre Obersten schon Überlegungen anstellten, sie an anderer Stelle völlig neu zu errichten und nicht auf dem Berg aus Schutt und Trümmern, der von der stolzen Reichsstadt geblieben war. Einer Stadt, die bis dahin den Ruf der am besten erhaltenen mittelalterlichen Festungsanlage hatte und die nie geschleift und eingenommen worden war. Da kommt es einem bald vor wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet 1939 ein Modell Nürnbergs innerhalb der Stadtmauern aus Lindenholz fertig gestellt worden war, das ebenfalls im Fembohaus zu besichtigen ist. Der Platz der Synagoge ist auf dem Modell bereits leer.       

Und schließlich gehört ein Besuch auf der Kaiserburg zum absoluten Muss bei einem Aufenthalt in Nürnberg. Im Ticket inbegriffen ist der Sinwellturm, von dem aus man bei gutem Wetter einen gigantischen Blick über die Stadt genießen kann, das Museum, die Besichtigung des Palas, der Doppelkapelle und der Tiefe Brunnen. Sinwell bedeutete im mittelhochdeutschen schlicht “rund”, der Sinwellturm ist also einfach der “runde Turm”. Auch die Nürnberger Türme waren dereinst eckig, doch irgendwann später stellte man fest, dass Kanonenkugeln runden Türmen nicht so viel anhaben können und hat die Türme einfach noch einmal rund ummauert. Im Museum findet man das historische Equipment, das im Mittelalter erforderlich war um einen kleinen Kreuzzug zu unternehmen - Waffen, Sättel, Steigbügel, Feuerwaffen, Panzer und Schilde. Da wird einem erst mal klar, welche gewaltigen Leistungen die Kaiser und ihr Gefolge mit ihren Eroberungszügen vollbrachten. Die Innenausstattung des Palas ist ziemlich dürftig - spektakulär ist die Führung trotzdem und das ist vor allem der Vortragskunst der Führer zu verdanken, die es wunderbar verstehen, die abenteuerliche Welt des Mittelalters vor den inneren Augen neu erstehen zu lassen. Die Nürnberger Burg war sozusagen eine kaiserliche Spezialburg, an der seit 1150 kontinuierlich weiter gebaut wurde, um sie laufend auf dem neuesten Stand im Hinblick auf technisches Equipment und Innenraumkomfort zu halten. Von der Funktion her gesehen war die Kaiserburg so etwas wie ein Kongresshotel der Kaiser, Könige, Herzöge und Markgrafen, die hier ihre Meetings abhielten. Die Nürnberger Burg wurde privilegiert, wahrscheinlich weil sie so schön zentral im heiligen Römischen Reich lag: 1356 schrieb Karl. IV. in die Goldene Bulle - das war sozusagen das Grundgesetz des Mittelalters - dass alle frisch gekürten Kaiser den ersten Reichstag in Nürnberg abhalten müssen. Mit 320 Events hatte die Nürnberger Burg mehr Veranstaltungen als jede andere Burg, allerdings in einem Zeitraum von über 600 Jahren. So ging das bis zur feindlichen Übernahme Frankens durch Bayern im Jahre 1806, aber das ist eine andere Geschichte.

Nach so viel Hochkultur dürfen Sie jetzt beruhigt zur Kneipenkultur übergehen. In diesem Sinne noch ein kleiner Geheimtipp zum Schluss: Direkt unterhalb der Burg im Burgwächter gibt es den sehr seltenen, aber höchst erlesenen roten Frankenwein, den Sie unbedingt probieren sollten.

Text: Christine Kammerer

Paul Giessner - Autor Nuernberg
Paul Giessner

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Paul Giessner glänzt mit seinem fundiertem Wissen über die Geschichte und Kultur seiner Heimatstadt Nürnberg. Er hat eine Vorliebe für historische Recherchen, fotografiert gerne und ist somit ein geschätztes Teammitglied von Bayern-online.