Kirchen in Nürnberg

St. Egidien in Nürnberg

Paul Giessner - Autor Nuernberg
Paul Giessner

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Kirche St. Egidien in Nürnberg

Die Egidienkirche steht im ehemaligen Patrizierviertel der Stadt (Sebalder Altstadt). Hier wohnten die reichsten Patrizier Nürnbergs.

Vor der Kirche ist ein Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm I. aufgestellt.

Im Jahre 1150 wurde das einzige "barocke" Gotteshaus Nürnbergs an der Stelle erbaut, an der sich einst die Basilika des Schottenklosters befand. Initiator des Baus war der Abt Deocarus. Die Egidienkirche wurde als romanische, dreischiffige, flachgedeckte Pfeilerbasilika mit Chor, Querhaus, östlichen Nebenapsiden und westlicher Doppelfassade gestaltet. Der Bau ist wahrscheinlich von St. Michael in Bamberg beeinflusst worden.

Im Jahre 1696 wurde die Kirche durch einen Brand fast völlig zerstört, nur Chor, Querschiff, Sakristei und drei Kapellen (s.u.) blieben erhalten.

1710 wurde das Chorgewölbe neu eingedeckt und im Jahre 1711 der Grundstein für den Wiederaufbau (im Stil des Barock) gelegt. Die Einweihung erfolgte 1718. Der Wiederaufbau erfolgte nach Plänen von Johann Trost (Architekt, Ingenieur, 1639 bis 1700) und wurde umgesetzt von seinem Sohn Gottlieb Trost (Architekt, Ingenieur, 1672 bis 1728).  Die reichen Stuckarbeiten stammten von Donato Polli (Stukkator, 1663 bis 1738) und die Deckengemälde von Johann Daniel Preißler (Maler, Akademiedirektor, 1666 bis 1737) und Johann Martin Schuster.

Im Zweiten Weltkrieg brannte die Kirche erneut nieder. Sie wurde bis 1959 unter dem Architekten Rudo Göschel in reduzierter Form wieder aufgebaut. Trotz enger Bindung an die romanischen Vorgaben wurde eine eigenständige barocke Neuschöpfung erreicht. Das äußere Erscheinungsbild ist geprägt durch Natursteinfassaden und ein mächtiges Mansardendach. Im Inneren steht zwischen Chor und Vierung ein 8,5 m hohes Kreuz, das von Architekt Göschel modelliert wurde und von Prießmann und Bauer in München gegossen wurde. Das Altarkreuz stammt von dem Altöttinger Goldschmied Herbert Stern.

An der heutigen Egidienkirche sind die drei an der Südseite gelegenen Kapellen (Wolfgangkapelle, Euchariuskapelle und Teztelkapelle) besonders erwähnenswert:

Die spätgotische St. Wolfgangkapelle:
Die Wolfgangkapelle enthält in ihrem Kern einen Bau, der schon vor der Errichtung der Euchariuskapelle (s.u.) entstanden sein muss. Wahrscheinlich ist dieser identisch mit der im Jahre 1104 durch den späteren Kaiser Heinrich V. zerstörten Martinskapelle und dem sogenannten Bruderhaus. Es könnte aber auch die Euchariuskapelle gewesen sein, die ja auch einmal dem Heiligen Martin geweiht war. Manchmal taucht auch der Name Haydenkappelle statt Wolfgangkapelle auf, was auf die Begräbnisstiftung des Pflegers der Reichsveste Ott Hayd im Jahre 1397 zurückzuführen ist.
Nach der Klosterreform von 1418 tritt wohl 1437 an die Stelle der Wolfgangkapelle der jetzt noch bestehende Bau als Sixtuskapelle, für die 1503 eine Renovierung belegt ist.
Im Zweiten Weltkrieg wurden alle Gewölbe zerstört, aber wieder aufgebaut. Das Äußere der Kapelle ist heute noch von der Aufbauphase nach dem Klosterbrand im Jahre 1696 geprägt (s.o.). Im Inneren finden sich neben der Grablegungsnische an der Südwand (1446) Epitaphien und Totenschilde der Familien Eisen, Groland, Holzschuher, Imhoff, Löffelholz, Mendel, Örtel, Tetzel und Zingel und zahlreiche Holzbildwerke.

Die romanische Euchariuskapelle:
Sie wurde ursprünglich als Egidienkapelle um 1130 an der Ostwand der Wolfgangkapelle errichtet. Im Jahre 1150 wurde sie dem Heiligen Martin dediziert. Den Namen Euchariuskappelle erhielt sie im 15. Jh. wahrscheinlich aufgrund einer Verwechslung des Hl. Carus mit Deocarus. Deocarus war 798 bis 832 der erste Abt des Benediktinerklosters in Herriefen und Königsbote und Beichtvater Kaiser Karls d. Gr. Seine Gebeine kamen 1316 nach Nürnberg. Mit der Heiligsprechung des Stadtgründers Sebald vermehrte sich auch der Deocaruskult, es gab alljährliche Deocarusprozessionen und er sollte zum zweiten Stadtheiligen gemacht werden. Diesem Vorhaben kam allerdings die Reformation dazwischen. Seine Reliquien liegen heute im Eichstätter Dom.
Im Jahre 1220/30 wurde der ursprünglich flachgedeckte Bau der Euchariuskapelle gewölbt. Die Ostapsis (s. u. "Apsis") wurde im Jahre 1345 beim Bau der Tetzelkapelle abgerissen. Auch sie wurde im Jahre 1696 beim Brand des Egidienklosters beschädigt und wieder hergestellt, wobei die Längswände erhöht wurden. Die erheblichen Schäden des Zweiten Weltkriegs wurden auch wieder behoben. Das Kirchenschiff ist durch Gurtbögen über zwei Mittelsäulen in sechs annähernd quadratische Joche unterteilt. Im Inneren trägt der südliche Altar das Retabel (Rückwand des Altars) des Katharinenaltars, der von Jörg Beck und seiner Frau Dorothea gestiftet wurde. Das Epitaph mit der Anbetung der Heiligen Drei Könige von Benigna Holzschuher (verst. 1463) findet man auf der Mensa des ehemals nördlichen Altars. Das Epitaph der Elisabeth Waldstromer (verheiratete Tetzel, verst. 1437) mit einer Muttergottes auf Goldgrund sowie ein weiteres Gedächtnisbild der Familie Tetzel befinden sich an der Westwand.
Die Euchariuskapelle gilt heute als ältester Sakralbau Nürnbergs und stellt eine besondere Sehenswürdigkeit dar.


Die Tetzelkapelle:
Sie ist die östlichste der drei Kapellen und wurde im Jahr 1345 als Marienkappelle an der Stelle der abgebrochenen Apsis der Euchariuskapelle erbaut. Sie wurde von der Familie Tetzel gestiftet. 20 Totenschilde erinnern an die verstorbenen wehrfähigen Männer der Familie, darunter auch Felix Jakob Tetzel, der 1736 als letzter seines Geschlechts starb. Zudem befindet sich auf der modernen Altarmensa ein Epitaph für Hans Obernitz (gest. 1534) und seine Frau Margaretha Tetzel (gest. 1511/12). Unter dem südlichen Chorfenster ist eine Ölbergnische, unter dem nordöstlichen Chorfenster ein Sandsteinepitaph für Markus Landauer (gest. 1468) und seine zweite Frau Margaretha Schreyer (gest. 1457). Dieses wurde von Adam Kraft (Bildhauer, nach 1450 bis 1598) gefertigt, gestiftet wurde es von Matthäus Landauer (gest. 1515) und Ehefrau Helena Rothan von Bruckberg (gest. 1501). Dieses Landauer'sche Epitaph darf man nicht mit dem Schreyer-Landauer-Epitaph in der Sebalduskirche verwechseln, das ebenfalls von Adam Kraft stammt. An der südlichen Westwand befindet sich ein Kreuzigungsrelief, nördlich ein Wappenrelief der Schlauersbach Imhoff.

Adresse:
Egidienkirche
Egidienplatz 37
90403 Nürnberg
Telefon: 0911/2141141

Patrizier: In Roms Frühzeit waren Patrizier die Angehörigen des Geburtsadels, dessen Bildung in der Königszeit einsetzte und ca. im 5. Jh. v. Chr. abgeschlossen war. Im Mittelalter bis ins 19. Jh. waren sie die Angehörigen städtischer Oberschichten, sobald sie eine geburtsständische Abschließung oder die Ebenbürtigkeit zum niederen Adel erreicht hatten. Es waren meist reiche Kaufleute und bildeten in vielen Städten die ratsfähigen Geschlechter.

Basilika: Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet Köngishalle. Schon in altrömischer Zeit war ein Basilika eine längliche Halle, meist mit dem Eingang an der Schmalseite. Die altchristliche Basilika ist eine mehrschiffige Kirche mit hohem Satteldach über dem Hauptschiff und niedrigeren Pultdächern über den Seitenschiffen.

Schottenkloster (Egidienkloster): Um 1140 übergab König Konrad III dem Regensburger Schottenprior Carus, die auf königlichem Grund gelegene Egidienkapelle, damit Schottenmönche dort Gottesdienste abhielten.

Apsis: Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet Wölbung. Im Kirchenbau ist eine Apsis der Chorabschluss des Langhauses, dem oft kleinere Nebenapsiden an den Kreuzarmen oder am Chorumgang entsprechen.

Donato Polli:
Er gilt als Wegbereiter der Luganeser Stukkatoren in Franken. Seine Werke: Die Stuckierung des Weißen Saals im Schloss der Welser in Neunhof bei Lauf, die Ausschmückung der Egidienkirche (gilt als sein Hauptwerk), die Gestaltung der Decke der Pfarrkirche St. Maria Magdalena in Behringersdorf (1719), Gestaltung der Decke der Schlosskirche St. Michael von Sulzbürg und der Decke der kath. Pfarrkirche St. Sixtus in Büchenbach (1726). Die Ausgestaltung des 1. Obergeschosses im Fembohaus und der Götterstube im Welserschloss zählen zu seinen späten Werken.

Familie Tetzel: Die Familie Tetzel war eine sog. Ratsfamilie. Ratsfamilien (s. a. Ebner, Haller, Holzschuher, Pfinzing, Stromer etc.) bildeten ab dem 13. Jh das Führungsgremium in Verwaltung, Politik und Handel in Nürnberg. Im Rat vertreten waren ca. 30 bis 35 Familien aus Nürnberg.
Die Tetzels waren seit dem 14. Jh. im Montanbereich tätig und im 16. Jh. mit den wichtigsten Nürnberger Montanunternehmern, den Fürern, verschwägert.
Nicht bekannt ist eine Beziehung zum Ablassprediger Johannes Tetzel der um 1465 in Pirna geboren wurde, seit 1488 Dominikanermönch war und am 11.8.1519 in Leipzig starb. Seine eher zu finanziellen Abgaben auffordernde Ablasspredigt war der äußere Anlass zu Luthers Thesen.

Adam Kraft hinterließ viele bedeutende Werke in Nürnberg. Seine Hauptwerke: Das Schreyer-Landauer-Epitaph (1492), das Sakramentshaus (1493/96), das Relief mit Christi Geburt (1498/99), das heute im Germanischen Nationalmuseum zu finden ist, zudem schuf er das Wappenrelief an der Kaiserstallung (1494/95), das Relief an der Unteren Waage (1497), das Portaltympanon (Tympanon: bes. im Kirchenbau des Mittelalters, das Bogenfeld über dem Türsturz eines Portals) an der Mauthalle (1498/99) und das Rebeck-Epitaph in der Frauenkirche (1500), die Erdrosselung der Beatrix in der Lorenzkirche (1500), die Giebelumgestaltung am Michaelschor der Frauenkirche (1506/08), die Kreuzwegstationen (heute im Germanischen Nationalmuseum) mit Kreuzigungsgruppe (heute im Heilig-Geist-Spital) und die Grablegung in der Holzschuherkapelle (1506/08). Als Werkstattarbeiten gelten der Ölberg an der Kartäuserkirche und das Tympanon des Portals im Südturm der Sebalduskirche (um 1504).

Quellen:
Stadtlexikon Nürnberg, herausgegeben von Michael Diefenbacher und Rudolf Endres, W. Tümmels Verlag, Nürnberg, 2000.
Berühmte Nürnberger aus neun Jahrhunderten, Herausgeber Christoff von Imhoff, Verlag Albert Hofmann, Nürnberg, 1984.
Das große Buch der Baustile, Herbert Pothorn, Südwest Verlag München, 1986.
dtv Brockhaus Lexikon in 20 Bänden, Verlag F. A. Brockhaus, Mannheim, 1989.

Paul Giessner - Autor Nuernberg
Paul Giessner

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Paul Giessner glänzt mit seinem fundiertem Wissen über die Geschichte und Kultur seiner Heimatstadt Nürnberg. Er hat eine Vorliebe für historische Recherchen, fotografiert gerne und ist somit ein geschätztes Teammitglied von Bayern-online.