Der Hauptbahnhof in Nürnberg

Paul Giessner - Autor Nuernberg
Paul Giessner

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Der Nürnberger Hauptbahnhof

Der neue Hauptbahnhof in Nürnberg.

Der neue Hauptbahnhof in Nürnberg

AUFBRUCH IN DIE ZUKUNFT

Noch gab es so etwas wie Ruhe vor dem Sturm. Nämlich diejenige, die sich der Ingenieure zur technischen Verbesserung des Bahnhofs annahmen.
In den 1960er Jahren und zu Beginn der 1970er Jahre entschied die Bundesbahn, den Nürnberger Hauptbahnhof und seine Bahnsteige auf den neuesten Stand zu bringen. Neue Bahnsteige, neue Weichen, ein neues Stellwerk, ein neuer Straßentunnel und eine unterirdische Verbindung für die Gepäckkarren zu den Bahnsteigen gehörten zu diesem Sanierungsprogramm. Und auch die Vorbereitung für eine Investition in die S- und U-Bahn, die den Nahverkehr in Nürnberg revolutionieren sollte.

Die Chronik des Nürnberger Hauptbahnhofes vermeldete in den Jahren nach dem Ausbau der Osthalle vor allem technische Verbesserungen. Das Gebäude selbst trat hinter diesen kontinuierlichen Ausbauten der Gleise und Sicherungsanlagen zurück. So wurde im Juni 1963 die mechanischen Zuglaufanzeiger durch elektrische Anlagen ersetzt. Ein gutes Jahr später gingdas neue Stellwerk Drei auf Kilometer 0,800 im Bahnhofsgelände in den Dienst und zur gleichen Zeit wurde das Regensburger Reservegleis 3 im Hauptbahnhof dem Verkehr übergeben.

Wieder ein Jahr später, im Herbst 1965, vermeldete die Technik neue Magnete für die induktive Zugbeeinflussung an allen Ausfahrtsignalen der Ost- und Westseite des Bahnhofes. Im Dezember des selben Jahres erhielt der Hauptbahnhof ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk: die damals modernste Wagen-Waschanlage der Bundesbahn wurde dem Betrieb übergeben. Allerdings mit einer kleinen, dafür bei solchen Gelegenheiten umso häufigeren Schummelei. Der eigentliche Waschbetrieb konnte aus technischen Gründen erst zweieinhalb Monate später beginnen.

Auch in den folgenden Jahren kam der Nürnberger Hauptbahnhof Zug um Zug in den Genuss technischer Aufrüstung. Neue Stellwerke und Ausfahrtsignale, A Zugsicherungsanlagen und Weichenheizungen sowie verbesserte Fahrtmöglichkeiten für E-Loks wurden in rascher Folge in Betrieb genommen. Im Sommer 1969 stellte die Bahn ihren großen Modernisierungsplan für die Reisewege am Nürnberger Hauptbahnhof vor. Damit wollte sie energisch den über die Jahre gewachsenen Mängeln bei der Zugabfertigung zu Leibe rücken. So wurde östlich und westlich der Bahnsteige das überalterte Gewirr der Schienen und Weichen entflochten, und um rund ein Drittel vermindert. Dadurch wurde der Bahnhof leistungsfähiger, zumal die Gleiskörper auch mit modernen Signalanlagen und einem neuen Stellwerk ausgestattet wurden. Die Reisenden sollten den Fortschritt nach dem beendigten Umbau ganz handfest verspüren können. Golten doch die südlichen, weit ausholenden Schienenwege des Nürnberger Hauptbahnhofes bis zu diesem Zeitpunkt stets als so genannte „Bauerngleise", bei deren Überfahrt sich die stehenden Passagiere stets krampfhaft festklammern mussten, um nicht zu Boden zu gehen.

Die Bahnkunden konnten sich über breitere und längere Bahnsteige freuen.
Sie wurden anlässlich dieser Renovierung auf eine Länge von 400 m gebracht, was der Länge von 15 D-Zug-Wägen entsprach. Den Platz für die breiteren Perrons gewonnen die Planer, indem sie drei Gepäckbahnsteige opferten. Eines gefiel den Reisenden besonders: die Bahnsteighöhe wurde auf 76 Zentimeter verdoppelt. Mit den neuen Bahnsteigen wurden also die beschwerlichen Kletterpartien in die hohen Zugtüren erleichtert.

Ein weiterer neuralgischer Punkt des Bahnhofs wurde ebenfalls entschärft. Der gefährliche Überweg, der von den Gepäckkarren an der Ostseite genutzt wurde, sollte im Zuge dieser Aktion verschwinden. Wegen der großen Kollisionsgefahr lies sich der mittlerweile nur noch mit Hilfe einer eigens aufgestelltem Wachtposten nutzen.
Nach der Renovierung sollten die Gepäck-, Post- und Expressgut-Karren künftig unterirdisch fahren und die einzelnen Bahnsteige ungefährdet über Rampen erreichen.

Und dann ist da natürlich der Abschied von der Dampflokomotive am Nürnberger Hauptbahnhof im Mai 1970. Er belegte am augenfälligsten, wie rasch sich die Fahrtechnik weiterentwickelt. Passend zum Ende der rauchenden Riesen machten sich die Bahner schon im April des gleichen Jahres ein paar architektonische Gedanken um das Empfangsgebäude des Hauptbahnhofs. Jetzt, da die schnaubenden und rußenden Dampfloks nicht mehr fuhren, stellte sich nun die Frage nach der Reinigung der Fassade des Nürnberger Hauptbahnhofs mit einem Sandstrahlgebläse.
Aber der ehrwürdigen Fassade des Hauptbahnhofes drohte ein ganz anderes Ungemach. Es begann schon im Jahre 1965. Da beschloss der Nürnberger Stadtrat, eine U-Bahn zu bauen. Ein weiser Entschluss, drohte doch die Stadt im Individualverkehr zu ersticken. Die neue U-Bahn sollte von Langwasser Süd in Richtung Fürth führen und das Empfangsgebäude des Hauptbahnhofes unter der Mittelhalle kreuzen. Dadurch, so der geniale Gedanke der Planer, käme auf drei Ebenen unter der Mittelhalle die kürzestmögliche Verbindung zwischen Bundesbahn und U-Bahn zustande. Der ehrwürdige Nürnberger Hauptbahnhof würde somit zu einem modernen Verkehrsknotenpunkt, der die verschiedenen Verkehrsmittel vereint, werden.

Doch dann kamen die Statiker. Und die stellten Folgendes fest:
wenn man die U-Bahn so bauen wollte wie geplant, dann wäre der Bahnhof mit seiner Mittelhalle zu schwer. Also lautete der Beschluss: die Kuppel muss weg und die mächtigen Eckpfeiler auch, sowie der Portikus und die vorgelagerte Säulenhalle.
Das aber bedeutete den Todesstoß für Zengers Hauptbahnhof-Architektur!

Die Stunden des originalen Nürnberger Hauptbahnhofes schienen im Jahr 1973 gezählt. Denn nun war es amtlich: die Fassade des Nürnberger Hauptbahnhofs stand offensichtlich dem Fortschritt entgegen. Und noch, so waren die Zeiten damals, galt dieser Fortschritt mehr als alle Tradition, als alles Maß und Achtung vor einer Komposition, was immer man auch vom Stil der Gesamtanlage halten mag.

Die Planer legten los. Sie übertrumpften sich mit Entwürfen, die den Nürnberger Hauptbahnhof zum statischen Leichtgewicht machen sollten. Das Nürnberger Baureferat und der Baukunstbeirat präsentierten schließlich eine Lösung, die dem Betrachter noch knapp 30 Jahre später das Blut in den Adern gefrieren lies.
Der neue U- Bahn-taugliche Bahnhof verlor nach diesem Vorschlag radikal seinen Portikus und die dazu gehörigen Teile der Fassade. Die Kuppel, die nur als Provisorium für die Verdeckung von Kriegsschäden war, verschwand ebenfalls.
Sie wurde durch eine eiförmige Konstruktion aus Acryglas ersetzt, welches das gleiche Material war, das gerade in der Architektenwelt beim viel bewunderten Münchner Olympiadach Furore gemacht hatte. Die Acrylkuppel setzte sich in Richtung Boden fort in einer Art gläserner Säule, die die Treppen und Rolltreppen aus dem U-Bahn-Geschoss aufnahm. Ringsherum blieb Platz für eine Taxianfahrt, in der die Gäste, vor Wind und Regen geschützt, fast bis vor das Gleis rollen können.

War das die späte Rache der Nürnberger an der Fassade, die sie schon 70 Jahre zuvor nicht haben wollten? Offensichtlich war und blieb der Nürnberger Hauptbahnhof mit seinem historischen Konzept der Neo-Renaissance ein ungeliebtes Kind der ehrwürdigen Reichsstadt. Denn kein vernehmlicher Aufschrei erhob sich in ihren Mauern gegen den Anachronismus der Acrylglas-Pläne. Keine Bürgerinitiative „Rettet den Bahnhof!" erhob ihre Stimme, um das zu verhindern, was selbst Tonnen alliierter Sprengbomben nicht hatten anrichten können. Die Nürnberger selbst waren es nicht, die die zweite Zerstörung des Bahnhofes verhinderten.

Es war die Hauptverwaltung der Bundesbahn in Frankfurt, bei der die Entwürfe des Nürnberger Bauamtes auf wenig Gegenliebe stießen. Kurioserweise waren die Motive, den Nürnberger Umgestaltungsvorschlag abzulehnen wohl weniger von architektonischer als von finanzieller Natur. Denn, so hieß es aus Sicht der Bundesbahn, es käme doch wohl nur eine Lösung in Frage, die „auch den wirtschaftlichen Aspekt im Hinblick auf die spätere Bauunterhaltung berücksichtige". Damit war wohl ebenso die Furcht davor, die Acryl-Platten ständig ersetzen zu müssen, gemeint wie auch die Kosten für die Reinigungskolonne. Die nämlich wäre mit der Pflege eines solchen Materials rund um die Uhr beschäftigt gewesen.

So suchte die Bahn nach Alternativen. Und Ende 1973, kurz bevor die Bagger anrücken sollten, legte die Bahn ein statisches Gutachten vor, welches die Erhaltung des mittleren Teils der Hauptfassade mit dem Portikus vorsah.
Oben sollte statt der Acrylglas-Konstruktion ein neues Mansarddach die Mittelhalle krönen. Und das wiederum war für das Gesamtbild des Empfangsgebäudes von entscheidender Bedeutung. Der Plan sah nun vor, die Mittelhalle während der Bauarbeiten zu unterfangen. Die Straßenplanung vor dem Hauptbahnhof musste jedoch geändert werden. Denn die Planer hatten schon vorauseilend die neue Straßenführung ohne den Portikus geplant.
Am Dienstag, den 2. Februar 1974 rückten die Bagger an. Die Kuppel der Mittelhalle wurde zerlegt und nur die Fassade blieb, inmitten einer riesigen Baustelle, erhalten. Doch damit war der Dauerstreit um die endgültige Gestaltung noch nicht beigelegt. Daran hatte die pikante finanzielle Konstruktion des Umbaus mit Schuld. Schließlich begann der Umbau aufgrund des Begehrens der Stadt, eine U-Bahn einzurichten.
Dafür mussten sie auch die entsprechenden Summen an die Bundesbahn zahlen, die jedoch die Planungshoheit über ihr Gebäude behalten wollte.
Das, was ein zeitgenössischer Beobachter liebevoll als „ein hartes, aber stets faires Ringen zwischen der Stadt Nürnberg und der deutschen Bundesbahn um die äußere Gestaltung der bedeutendsten Drehscheibe im Personenverkehr Nürnbergs" umschrieb, fand seine Fortsetzung in einer erneuten Kuppel-Debatte.

Hatte denn nicht schon die erste Kuppel, die von Zenger stammte nicht schon genug Verdruss angerichtet? Auch die vorerst letzte schien sich in dieser Tradition bewegen zu wollen. 1974 unterbreitete die Deutsche Bundesbahn der Stadt Nürnberg den Vorschlag, die Mittelhalle mit einer allseitig abgewalmten, kupfergedeckten Haube zu versehen. Die Nürnberger Stadtväter winkten ab. Sie stellten sich etwas anderes vor.  Es folgte ein Wettbewerb unter drei einheimischen Architekten. Ein Vorschlag setzte sich letzten Endes durch: Er sah eine künftige Überdachung der Hallte mit zwei in sich durchdringenden, kupfergedeckten Tonnengewölben vor. Dieser Vorschlag wurde schließlich angenommen.

Es dauerte nun aber noch fast vier Jahre, bis der Nürnberger Hauptbahnhof wieder sein endgültiges neues Gesicht erhielt. Am Mittwoch, den 23. November 1977 konnte endlich das Richtfest für die neue Bahnhofskuppel über der Mittelhalle gefeiert werden. Knapp ein Jahr später, am 21. Juli 1978 wurde die Empfangshalle mit der neuen Kuppel eingeweiht. Schon ein halbes Jahr zuvor war übrigens die erste U-Bahn bei ihrer ersten Probefahrt im Abschnitt Aufseßplatz - Nürnberg Hauptbahnhof - Weißer Turm erfolgreich unter ihr hindurchgefahren.

Parallel zu den Bauarbeiten im Herzen des Empfangsgebäudes wurde über Jahre hinweg an den Bahnsteigen und ihren Dächern gearbeitet. Im Februar 1976 begann die umfassende Renovierung der Bahnsteigdächer mit dem Abbruch und dem Wiederaufbau auf den Gleisen 16 bis 23. Zwei Jahre später wurde das Dach von Gleis 4/5 gesprengt und es folgten die Dächer von Gleis 2/3 und Gleis 1, sowie weitere Gleise. An die Stelle der schadhaften Konstruktionen, die zum Teil noch aus der Erbauungszeit des Hauptbahnhofes stammten, traten neue Spannbeton- und Glasdächer, die den Reisenden besseren Schutz vor den Widrigkeiten von Wind und Regen bieten sollten.

Und dann warf auch schon die S-Bahn am Nürnberger Hauptbahnhof ihre Schatten voraus. Denn in der Planung einer „Stadt-Bahn" war eine möglichst stadtnache Verkehrung des Bahnsteiges vorgesehen. Dazu wurde der Bahnsteig 2 ausgewählt. Denn auf ihm sollten die vielen S-Bahn-Reisenden auf möglichst kurzem Wege zur Altstadt oder zur U-Bahn-Station im Hauptbahnhof-Untergeschoss gelangen können. Das Problem war nur, dass dazu die gesamte Linienführung des Bahnhofs auf den Kopf gestellt werden musste. Gleise, Weichen und Betriebsanlagen waren gleichermaßen davon betroffen. Doch das war nur eines der zahlreichen Probleme, mit denen der Start der S-Bahn in Nürnberg zu kämpfen hatte.
Schon seit 1966 wurde bei der Aufstellung des Generalverkehrsplans für die Region Nürnberg, Fürth und die Industrieregion Mittelfranken der Aufbau eines S-Bahn-Systems gefordert. Vier Jahre später sagte der damalige Bayerische Ministerpräsident Goppel zu, die Stadt Nürnberg bei den Plänen für einen S-Bahn-Ausbau genauso zu behandeln wie die Landeshauptstadt München. In den Jahren darauf entfalten die Nürnberger Verkehrsgremien eine rege Tätigkeit. Nach dem Generalverkehrsplan, der 1971 ausdrücklich den U- und S-Bahnbau bekräftigte, folgte die Gründung der Arbeits- und Planungsgemeinschaft für die S-Bahn im Raum Nürnberg, Fürth, Erlangen, Schwabach. Ihr gehörten neben den genannten Städten auch die Bahn und die Post an.

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Die Texte auf dieser Seite stammen aus dem Buch
Hauptbahnhof Nürnberg - Geschichte und Visonen
Herausgegeben von Karl Heinz Ferstl und Heinrich W. Kaiser.

Wir bedanken uns bei Hern Karl Heinz Ferstl (Leiter des Bahnhofsmanagement) und Herrn Träger (DB-Museum Nürnberg) für die freundliche Unterstützung.

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Paul Giessner glänzt mit seinem fundiertem Wissen über die Geschichte und Kultur seiner Heimatstadt Nürnberg. Er hat eine Vorliebe für historische Recherchen, fotografiert gerne und ist somit ein geschätztes Teammitglied von Bayern-online.